S-Bahn Berlin Geschichte Die S-Bahn in West-Berlin 1961-1989
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5. Die S-Bahn in West-Berlin 1961-1989
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Berliner_S-Bahn:
Der langsame Niedergang der S-Bahn
In der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 begann die Nationale Volksarmee damit, die Stellwerke im Grenzgebiet zu besetzen und, sobald der letzte Zug die Grenze passiert hatte, diese abzuriegeln und die Gleise zu entfernen. Da der Mauerbau auf ein Wochenende fiel, waren viele Bürger der DDR bei Freunden und Verwandten in West-Berlin zu Besuch, die Grenzanlagen waren am Sonntagabend dementsprechend gefüllt. Kurzerhand wurden die Leute durch die Grenze gelassen, nicht ahnend, dass es 28 Jahre dauern würde, bis sie wieder dorthin zurückkehren konnten. Die Absicherung der Grenze verlief ebenfalls nicht so sauber, wie vielleicht vermutet. Zwischen Treptower Park und Sonnenallee stand beispielsweise tagelang ein Zug, vor und hinter diesem waren die Gleise bereits abmontiert worden. Erst nach der Verlegung eines provisorischen Gleises konnte der Zug zurück nach Ost-Berlin überführt werden. Folgende Strecken wurden unterbrochen: * Spandau West – Albrechtshof * Heiligensee – Hennigsdorf * Frohnau – Hohen Neuendorf * Lichtenrade – Mahlow * Lichterfelde Süd – Teltow * Wannsee – Stahnsdorf * Wannsee – Griebnitzsee * Gesundbrunnen – Schönhauser Allee * Bornholmer Straße – Pankow * Friedrichstraße (jeweils Endpunkt für die Stadtbahnzüge aus Ost und West) * Sonnenallee – Treptower Park * Köllnische Heide – Baumschulenweg * Humboldthain – Anhalter Bahnhof (Nord-Süd-Tunnel) Im Nord-Süd-Tunnel wurde der Betrieb noch am gleichen Abend aufgenommen, die Züge fuhren jedoch (mit Ausnahme von Friedrichstraße) ohne Halt durch die nun zu "Geisterbahnhöfen" gewordenen Ost-Berliner Bahnhöfe durch. Nur vier Tage später, am 17. August 1961 riefen der DGB und der Regierende Bürgermeister Willy Brandt zum Boykott der S-Bahn auf. Gewerkschafter, ausgerüstet mit Schildern, auf denen z.B. Kein Pfennig mehr für Ulbricht oder Jeder Westberliner S-Bahnfahrer bezahlt den Stacheldraht stand, übten psychologischen Druck auf die Fahrgäste aus. Die BVG richtete gleichzeitig einige neue Buslinien parallel zu den S-Bahnstrecken ein (69, später 219; 99, später 137; AS1, später 66, bis 1984)), andere wurden verlängert (65, später 105). Die Fahrgastzahlen sanken dramatisch, die S-Bahn verlor fast die Hälfte ihrer Fahrgäste in ganz Berlin, und das, obwohl die östliche Stadthälfte im Laufe der Jahre einen Zuwachs verzeichnen konnte. Leere Züge, zerstörte Bahnanlagen und Fahrzeuge prägten in den nächsten Jahren das Bild der West-Berliner S-Bahn. Die BVG bot einen keinen günstigen Ausgleich und konnte trotzdem, bedingt durch den Zuwachs an Fahrgästen, ihr Netz weiter ausbauen. Dennoch verringerte die DR ihr Angebot nur sehr selten, jedoch wurde 1966 für West-Berlin ein Einheitstarif mit 30 Pfennigen pro Fahrt eingeführt. Weitere Fahrpreisanhebungen waren erst in den 1970er Jahren ein Thema.
Der zweite Reichsbahnerstreik 1980
Das Jahr 1980 sollte der erste Schritt zur Wende in der West-Berliner S-Bahngeschichte sein. Die DR, geplagt von dem ungeliebten Kind der West-Berliner S-Bahn, sah sich gezwungen, weitere Einsparmaßnahmen zu ergreifen. Denn das jährliche Defizit von 120 bis 140 Millionen DM war ein hoher Preis für die Präsenz der DDR in der westlichen Stadthälfte. Im Frühjahr wollte die DDR-Reichsbahn in West-Berlin zunächst die Zuggruppen nur noch im 40-Minuten-Takt verkehren lassen. Nach Protesten in der Öffentlichkeit präsentierte die Reichsbahn im Herbst einen neuen Fahrplan, der einen Betrieb in West-Berlin nur noch von 5 bis 21 Uhr vorsah. Ausgenommen waren nur die Ringbahn, Stadtbahn und Nord-Süd-Bahn. Dies hätte durch den Entfall von Zulagen bei den Beschäftigten zu einem Einkommensverlust geführt. Die Arbeitsbedingungen waren unter dem Standard West-Berlins. Unter anderem wurde folgendes bemängelt: * die langen Arbeitszeiten (einschließlich Überstunden) * ein erheblich geringerer Lohn als bei der Deutschen Bundesbahn * keine freie Arztwahl * die Bevormundung der Arbeiter durch die Sozialistische Einheitspartei West-Berlins (SEW) und den FDGB * das sinkende Vertrauen in die DR als sicherer Arbeitgeber aufgrund von 87 Kündigungen im Januar 1980 * fehlende langfristige Perspektiven aufgrund der schlechten Lage der West-Berliner S-Bahn * die de facto Reduzierung der angehobenen Löhne durch Wegfall von anderen Zulagen Damals erlebte in Polen die Gewerkschaft Solidarnosc ihren Höhepunkt, was die Streikbereitschaft sicherlich förderte. Am 11. September kündigte die Reichsbahndirektion zunächst Lohnerhöhungen für die West-Berliner S-Bahner an, die jedoch sehr gering ausfielen. Vier Tage später wurden dagegen für den Fahrplanwechsel die drastischen Einschnitte bekannt gegeben. Noch am gleichen Tag legten die ersten Beschäftigten die Arbeit nieder. Am 17. September brach der Streik offen aus. Noch fahrende S-Bahnzüge wurden entleert und abgestellt. Der Güterverkehr kam ebenfalls am gleichen Tag zum Stillstand. Berlins Regierender Bürgermeister Dietrich Stobbe verwies zwar auf die Betriebspflicht der S-Bahn, war aber sonst ziemlich handlungsunfähig, weil er sich mit dem Garski-Bauskandal beschäftigen musste. Am 18. September bildete sich das zentrale Streikkomitee, das im Containerbahnhof Berlin-Moabit residierte. Die Forderungen der Streikenden lauteten wie oben beschrieben. Inzwischen wurden Stellwerke wie in Halensee und ab 20. September am Bahnhof Zoo besetzt. Nach dem S-Bahnverkehr stand nun auch der Transitverkehr still. Bereits anfahrende Züge mussten wieder in die Bahnhöfe Zoo oder Friedrichstraße zurückgedrückt werden. Die DB organisierte mit ihrer West-Berliner Tochterfirma BayernExpress & P. Kühn Berlin Busshuttleverkehre Richtung Hannover und Hamburg. Sie verlangte dafür erneut die Entrichtung eines Fahrgeldes. Erst nach Protesten des gerade gegründeten Fahrgastverbandes IGEB wurde diese Praxis unterlassen. Schließlich waren die Bahnreisenden bereits im Besitz von gültigen Fahrscheinen ab Berlin, lautete das Argument. Nachdem die DDR-Reichsbahn mit Hilfe der West-Berliner Polizei am 22. September die besetzten Stellwerke wieder unter Kontrolle bringen konnte, kam der Transitverkehr wieder ins Rollen. Die Streikenden nahmen als zusätzliche Forderung die Übernahme der S-Bahn in West-Berlin in westliche Hände auf. Einen Tag später wurde der Containerbahnhof Moabit geräumt. Die Streikleitung residierte nun im Haus der Gewerkschaft GEW. Auf einer Versammlung am 25. September empfahl die westliche Eisenbahner-Gewerkschaft GdED den Streikenden, ihren Arbeitsplatz bei der DR zu verlassen. Der Streik war damit zusammen gebrochen. Obwohl die DDR nie Arbeitslosenbeiträge für ihre Westbeschäftigten entrichtete, erhielten die nun arbeitslosen Eisenbahner Geld vom Arbeitsamt. Die Auswirkungen auf die West-Berliner S-Bahn nach dem Streik waren verheerend. Mit dem Fahrplanwechsel am 28. September wurden nur folgende Linien im 20-Minuten-Takt angeboten: * Frohnau – Lichtenrade * Heiligensee – Lichterfelde Süd * Wannsee – Westkreuz – Friedrichstraße Zunächst stillgelegt aber später wieder in Betrieb genommen wurden die Strecken: * Gesundbrunnen – Sonnenallee/Köllnische Heide (Ringbahn) * Wannsee – Anhalter Bahnhof * Westkreuz – Spandau Bis heute nicht mehr für die S-Bahn in Betrieb sind diese Strecken: * Spandau – Staaken (nur im Regionalverkehr bedient) * Jungfernheide – Gartenfeld (Siemensbahn) * Zehlendorf – Düppel * Jungfernheide – Spandau (ab 28. Mai 2006 nur Regionalverkehr) Insgesamt wurden an diesem Tag 72 Kilometer S-Bahnstrecken stillgelegt – fast die Hälfte des West-Berliner S-Bahnnetzes. Die unbenutzten Abschnitte zerfielen bald, zernagt durch Rost und zerstört durch Vandalismus.
Der späte Neubeginn
Viele Dinge bemerkt man meistens erst dann, wenn sie nicht mehr da sind. Genauso erging es der West-Berliner Bevölkerung und ihrer S-Bahn. Verschiedene Verkehrsinitiativen, vor allem die IGEB, nahmen sich des Themas an und forderten die Integration der S-Bahn in das West-Berliner Nahverkehrsnetz und einen Verkehrsverbund mit der BVG. Wegen der besonderen Rolle der S-Bahn in der großen Politik und Interessen der U-Bahn-Baulobby sowie der Funktionäre der "BVG-Gewerkschaft" ÖTV wurde gegen die S-Bahn oft mehr polemisiert als eine Sachdiskussion zu Verkehrsfragen geführt. Noch war die Deutsche Reichsbahn damit beauftragt, den S-Bahnverkehr aufrecht zu erhalten, jedoch war das Netz nach dem Streik von 1980 erheblich geschrumpft, die Fahrgastzahlen sprachen sich für alles Andere als für einen Betrieb aus. 1981 standen die Abgeordnetenhauswahlen an, SPD und CDU versuchten beide, durch die S-Bahn Stimmen zu sammeln. Nachdem die CDU mit dem späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker die Wahl für sich entscheiden konnte, kamen nacheinander die verschiedensten Lösungsvorschläge auf den Tisch. Letztendlich wurde eine Vereinbarung getroffen, nach der die Betriebsrechte der S-Bahn von der DR an die BVG übergehen sollten. Bereits am 13. Dezember 1983 setzten beide Seiten, nachdem zuvor die vier Besatzungsmächte ihre Zustimmung gegeben hatten, ihre Unterschrift unter das Abkommen, welches am 9. Januar 1984 4:00 Uhr morgens in Kraft treten sollte. Damit war die Präsenz der DDR in West-Berlin aber nicht beendet; die Deutsche Reichsbahn führte den Eisenbahnfern- und Güterverkehr weiterhin durch. Pünktlich um 4:00 Uhr konnte die BVG den Betrieb von der DR übernehmen, nachdem am Abend zuvor Kranzniederlegungen die Trauer symbolisieren sollten. Zunächst wurde nur auf den Abschnitten Friedrichstraße – Charlottenburg und Anhalter Bahnhof – Lichtenrade gefahren. Die Wannseebahn und der Abschnitt Charlottenburg – Wannsee blieben als Betriebsstrecke zur einzigen Betriebswerkstatt in Wannsee erhalten. Als Zugführer mussten zunächst S-Bahnfahrer aus Hamburg aushelfen, da die beiden Systeme sich nur geringfügig unterschieden. Das Endkonzept des Berliner Senats sah ein Netz von ca. 117 km Länge vor, in dem bis auf die folgenden Abschnitte das gesamte West-Berliner Netz reaktiviert werden sollte: * Neukölln – Köllnische Heide * Jungfernheide – Gartenfeld * Jungfernheide – Spandau * Schönholz – Heiligensee * Zehlendorf – Düppel
Bevor überhaupt an die noch zu sanierenden Strecken gedacht werden konnte, musste das Schrumpfnetz auf einen einheitlichen Standard mit den U-Bahnhöfen der BVG gebracht werden. Unter anderem wurden beispielsweise in den ersten Tagen teilweise Fahrscheinautomaten und Entwerter in den U-Bahnhöfen ab- und auf den S-Bahnhöfen wieder anmontiert. Bereits am 1. Mai 1984 konnte man die Abschnitte zwischen Charlottenburg und Wannsee, sowie den Nord-Süd-Tunnel zwischen Anhalter Bahnhof und Gesundbrunnen in Betrieb nehmen. Am 1. Oktober des selben Jahres folgte die Wiedereröffnung bis nach Frohnau. Der Abschnitt zwischen Wilhelmsruh und Frohnau musste im Jahr 1986 noch einmal vollgesperrt werden, da die BVG sich entschieden hatte, das zweite Streckengleis auf dem Abschnitt wiederherzustellen. Die Züge auf der nun als S2 genannten Linie konnten, nachdem der Südast nach Lichtenrade 1988 auch ausgebaut wurde, durchgängig im 10-Minutentakt fahren. Am 1. Februar 1985 konnte außerdem die Wannseebahn vollständig zum Verkehr freigegeben werden; die Linie zwischen Anhalter Bahnhof und Wannsee erhielt die Bezeichnung S1. Als dritte Linie wurde die Ost-West-Linie als S3 bezeichnet. Trotz aufwändiger Sanierung der Strecken konnte das Potential der S-Bahn Berlin nicht vollständig ausgeschöpft werden, die vorhandenen Züge, vorwiegend Stadtbahner aus den frühen 1930er Jahren, waren für einen effizienten Betrieb zu alt. Deshalb mussten neue Züge angeschafft werden. Im Juli 1985 konnten die ersten vier Prototypen der Baureihe 480 von Siemens vorgestellt werden. Da die Züge als Doppeltriebwagen ausgeliefert wurden, bildete damit erstmals der Viertelzug die kleinste betriebsfähige Einheit. Zwei Viertelzüge erhielten eine kristallblaue, die anderen beiden eine an die Traditionsfarben angelehnte Farbgebung. In einer Umfrage sprach sich ein Großteil der West-Berliner Bevölkerung für die Traditionsfarben aus. Bis 1992 konnten alle Wagen ausgeliefert werden – insgesamt waren es 41 Doppeltriebwagen.
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